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Christina Wolff

Hauptstr. 17a

14715 Wolsier                                                                                                                                                06.12.2019

 

DEMETER e.V.

Vorstand und Aufsichtsrat

Brandschneise 1

64295 Darmstadt

 

Offener Brief an den Vorstand

Lieber Dr. Alexander Gerber; lieber Johannes Kamps-Bender,

„DEMETER“ hat einen Namen und ein Image zu verlieren, den/das es seit fast 100 Jahren hat. Vielleicht sollten wir uns wieder auf die bewusst gewählte Namensgeberin unseres Anbauverbandes besinnen, auf die griechische Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, die Göttin des Wandels, des Eingebundenseins in den ewigen Kreislauf von „Stirb‘ und Werde“, der das Maß alles Lebendigen ist – auch in dem Selbstbetrug einer Wachstumsgesellschaft.

Die neue Werbekampagne „You will grow“, die sich ganz den Vermarktungsstrategien des Turbokapitalismus anbiedert, wird schlimmstenfalls dazu führen, dass „DEMETER“ sich einreiht in die endlose Folge von Produkten, die Sinnhaftigkeit und Weltbezug vermarkten, weil die Menschen sich so sehr danach sehnen und glauben, diese Sehnsucht mit Konsum stillen zu können.

Die mit Worten wie: wild, natürlich, regional, kontrolliert, integrativ, artgerecht, naturbelassen… agierende Lebensmittelindustrie, die die Supermarktketten beliefert – nun auch mit DEMETER-produkten weiß, um immer höherer Profite willen, die tiefe Sehnsucht nach Verwurzelung und Verbundenheit zu missbrauchen. Dabei wissen wir: „Eine echte Wertigkeit von Lebensmitteln widerspricht den Grundlagen des Discounts.“(Ursula Hudson, slow food Deutschland)

Die o.g. „Worthülsen“ werden nun bereichert  mit dem Verkauf von Liebe, Hingabe, Mut, Würde, Wahrheit und Freude – alles menschliche Potenziale, die bisher als unverkäuflich galten. Was bedeutet diese Aufzählung menschlicher Tugenden auf z.B. einer Banane?  Berichtet sie von den Bauern, die sich mit dem Land verbunden fühlen und mit täglicher Arbeit um ihre Existenz ringen müssen in diesem Vermarktungssystem, das ihnen kaum erlaubt, diese Tugenden bewusst und in Freiheit zu leben? Oder suggerieren sie dem Kunden, dass sie mit dem Kauf dieser Banane in einem alchemistischen Prozess der Verwandlung mutiger und glücklicher werden? Wie sehr ähnelt dieses Werbeversprechen denen der Chemie- und Pharmaindustrie.

In Zeiten der Entwurzelung und Vereinzelung von Millionen Menschen ist es kühn, wieder den Einzelnen in seiner alleinigen Verantwortung für sein Schicksal und Wohlbefinden anzusprechen, statt das „Wir“, die Eingebundenheit in ein gemeinsames Weltbild anzubieten. Welch‘ ungeheure Kraft würde so ein „Wir“ entfalten, einladend und nicht isolierend, gegen die Anderen, die es immer noch nicht begriffen haben oder es sich schlichtweg finanziell nicht leisten können, ausreichend und gesund zu essen auf diesem Planeten und das ist die überwältigende Mehrheit der Menschen – wir essen alle von fremden Tellern.

Das „Du“ in diesem Werbeslogan ist nicht das „Du“ Martin Bubers, das den Menschen erst durch das „Du“-sagen zum Menschen werden lässt und den ganzen Menschen in seinem schöpferischen und mehr als menschlichen Wesenskern meint, der angesprochen wird durch die Schöpfung, die höher ist als alle Vernunft. Dieses “Du“ ist der reiche und mittelständige, intellektuelle Kunde, der sich schon immer zugutehält, dass er „Bio“ kauft und mit dem Heiligenschein eines quasi Geheimwissens mir auch heute schon leise zuflüstert, dass DEMETER ja die beste Biomarke ist. Was übrigens zu beweisen wäre. Welch‘ kühne Selbstbehauptung – auch DEMETER-Betriebe wachsen und sind gerade hier im Osten teilweise weit entfernt von kleinbäuerlichen Kreislaufstrukturen (die bis heute zu 75% die Welt ernähren und das Modell der Zukunft bleiben, u.a. im Weltagrarbericht der FAO von 2013 nachzulesen) – bei Betriebsgrößen von tw. über 1.000 ha gibt es keinen Bauern mehr, der sein Land noch persönlich kennt und mit „Du“ ansprechen kann und die biodynamischen Präparate werden nicht mehr in einer bewussten geistigen Haltung selber gerührt, sondern von Fremdfirmen in Lohnarbeit mit schwerer Technik aufs Feld gebracht. Wie stark ist da noch der geistige Bezug zum Land. Wieviel Demut und Ehrfurcht vor der lebendigen Welt ist da noch lebbar? Und mit welchen Ritualen ehren wir die Erde und danken für die Ernten, die sie uns schenkt?

Der Werbeslogan „You will grow“ zielt auf einen wachsenden Biomarkt, den wir schon jetzt nicht mehr mit ausreichend Lebensmitteln versorgen können (Deutschland importiert 60% seiner Lebensmittel) – ich wiederhole mich – wir essen schon langen von fremden Tellern. Und die Tendenz ist steigend, wenn die Nachfrage steigt. Welche Landwirte sollen diese Lebensmittel erzeugen – die, die sich danach sehnen, endlich wieder bäuerlich im gesunden Kreislauf von „stirb‘ und werde“ in den Rhythmen des Jahres und im Einklang mit den Selbstregulationsprozessen der Natur, eingebunden in die menschliche und nichtmenschliche Welt und in die Rhythmen des Kosmos, gesegnet und segnend mit den geistigen Kräften zu leben und zu arbeiten? Oder die, die unter dem Druck des Wirtschaftssystems immer mehr Abstriche machen müssen, um überleben zu können? Auch in diesem Zusammenhang ist es äußerst heikel, mit dem Verb „wachsen“ zu jonglieren, zumal die meisten „Verbraucher“ nicht über die Doppelbedeutung des englischen Wortes „grow“ nachdenken werden. Der Trend, Demeter – Möhren  und –äpfel in Plastiktüten verpackt dann doch nicht zu kaufen und lieber die regionalen unverpackten ist jetzt schon in den Supermärkten deutlich, die neue Kampagne wird diesen Trend verstärken.

In einer Welt des absoluten Beziehungsschwundes kann es nicht um das individuelle Wachstum durch Konsum gehen. So wie das Wort „human“ und „Humus“ aus der gleichen Wortfamilie stammt, gibt es einen tiefen Zusammenhang zwischen unserer Menschlichkeit und unserem Umgang mit der Erde, dem lebendigen Boden, dem tiefsten Grund, dem Urgrund all unserer Existenz (Gedanken von Hildegard Kurt). Das Wort der Zukunft ist „Wir“ und „Verbundenheit“. In einer Warenwelt, in der Menschen in ökonomische Begrifflichkeiten als Erzeuger, Hersteller, Verbraucher klassifiziert werden, kann auch eine Werbekampagne, die genau dieses Denken bedient, keine Brücke schlagen.

Ich fordere Sie hiermit auf: Stoppen Sie diese Kampagne!

Das sicher ehrlich gemeinte Angebot der Mitwirkung an uns Landwirte und GärtnerInnen, die die Basis des Anbauverbandes bilden, sollte vom Kopf auf die Füße gestellt werden – wenn die Basis den Bedarf einer neuen Werbekampagne erkennt, dann kann sie den  Vorstand um Mitarbeit bitten!     Wir leben und arbeiten mit der Erde. Unsere zeitlichen Abläufe richten sich nach den Rhythmen des Jahre und des Landes – naturgemäß haben wir von Februar bis Oktober keine Zeit, uns mit Kampagnen zu beschäftigen – das ist kein Desinteresse und Unfähigkeit, sondern der natürliche Lauf der Dinge. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Diskussionspapier von Michael Brodda, Sylvia Mattauch und Stephan Holzhaus vom Januar 2019 zur Vermarktungsstrategie.

In Anbetracht natürlicher Rhythmen und der Weisheit, die auch Rudolf Steiner teilte, dass Prozesse und Entscheidungen Zeit zum Wachsen brauchen und 7 mal überdacht werden sollten, wären mehrere Jahre ein angemessener Zeitraum, um von der Basis her eine neue  Vermarktungsstrategie zu erarbeiten, falls diese überhaupt gebraucht wird. Sehr sympathisch, subversiv und beispielgebend hat sich DEMETER seinen guten Ruf mit einem Logo erarbeitet, das nur eine Selbstaussage transportiert – biodynamisch seit 1924 – die Qualität der Produkte hat alleine für sich gesprochen ohne jedes reißerische Werbeversprechen. Dabei sollten wir bleiben.

Aus Demut und Respekt vor den Menschen, die auf dem Land leben und arbeiten und die auf dem Land bleiben wollen - und die das Land nutzen -, pflegen und ehren wollen - es sind nur noch 1,6 % der Bevölkerung  bitte ich Sie um eine Veränderung Ihrer Weltwahrnehmung !

Mit herzlichen Grüßen

Christina Wolff, Kreuterey